Die Geschichte hörte ich das erste Mal bei der Beerdigung meines Sohnes Timo (verstarb duch plötzlichen Kindstod). Als Ralph bei einem tragischen Verkehrsunfall verstarb ließ ich die Geschichte auch vorlesen.
Als ich nach Timos Beerdigung oft nicht mehr weiter wußte, laß ich die Geschichte. Und jetzt da Ralph auch noch auf dieser Sommerwiese ist, ist alles so leer...........
Hier die Geschichte. Habe nicht ich so geschrieben, sondern der Pfarrer hat diese mir gegeben, da ich die Predigt wollte. Er hat die Geschichte aus einem Buch. Möchte dies deshalb mitteilen, damit ich keine Urhaberrechte verletze.
Diese Geschichte wurde von einer Mutter für ein Mädchen geschrieben, daß auch den Schritt neben sich machte.
Ich weiß nicht, wie ich es erzählen soll. Es ist kein Märchen, gleichzeitig ist es doch so wie ein Märchen. Es ist niemals passiert, und doch passiert es immer wieder. Es handelt von jemand, den du gekannt hast, und doch handelt es von keinem, den du kennst. Direkt neben dir gibt es ein Tal, das du nicht sehen kannst. Du siehst es nicht, bis du dich selbst in diesem Tal befindest. Und wenn du in diesem Tal bist, weißt du erst, daß du dort gewesen bist, wenn du nicht mehr dort bist. Ich meine das Dunkle Tal. Manche nennen es auch den Tod, aber ich habe es immer nur das Dunkle Tag genannt. Und zwar deshalb, weil man hindurchgehen muß. Und wenn du hindurchgegangen bist, dann bist du nicht mehr so, wie dich deine Mama, dein Papa, deine Brüder, Schwestern, Nachbarn und Freunde in Erinnerung haben. Du wirst anders im Dunklem Tal, und davon will ich dir gerne ein wenig erzählen.
Das Dunkle Tal befindet sich die ganze Zeit direkt neben dir, du siehst es bloß nicht. du siehst das Dunkle Tag erst in dem Augenblick, in dem du es betreten mußt, und das ist, wenn du stirbst.
Das ist ein bischen schwierig zu erklären. Aber wenn Menschen sterben, dann machen sie sozusagen einen Schritt neben sich selbst, und dann sind sie auf einmal im Dunklen Tal. Sie können nicht selber bestimmen, ob sie hineinwollen oder nicht, und keiner kann sie aus dem Dunklen Tal zurückholen. Der Weg im Dunklen Tal führt nur in eine Richtung. Du kannst dich nicht mehr einfach umdrehen und umkehren, wenn du erst einmal im Dunklen Tal bist.
Am Anfang ist das Dunkle Tal einfach finster. Und es kann sein, daß die, die es durchwandern, ein bisßchen weinen. Denn es kann wehtun, wenn man sich plötzlich neben sich selbst befindet, im Schatten des Tales.
Ich sage Schatten, weil das Tal nicht ganz finster ist. Wäre es pechschwarz, dann wäre es ja unmöglich, sich darin zurechtzufinden. Aber es gibt ein Licht im Dunklen Tal. Davon will ich dir später erzählen.
Die, die dort laufen, weinen also vielleicht ein bischen, jedenfalls am Anfang. Aber wenn sie immer weiter hineinkommen, hören sie auf zu weinen. Ich glaube, daß sie sozusagen vergessen, warum die geweint haben. Sie vergessen, daß sie einen Schritt neben sich selbst gemacht haben. Sie vergessen, was ihnen wehgetan hat. Sie merken bloß, daß der Weg plötzlich ein bisßchen nach oben ansteigt. Und dann sehen sie immer mehr von dem Licht.
Und jetzt will ich dir vom Licht im Dunklen Tal erzählen.
Aber ich kann nichts über das Licht sagen, ohne dir von dem zu erzählen, der immer wartet. Ich nenne ihn einfach Der Immer Wartet. Das ist ein etwas komischer Name. Aber ich bin ganz sicher, daß er selbst diesen Namen sehr gern hat. Denn das ist es, was er tut: er wartet immer.
Dort, wo das dunkle Tal aufhört, beginnt eine große Wiese. Diese Wiese nennt man, glaube ich, die Sommerwiese, weil dort immer Sommer ist. Jetzt denken sicher einige, daß das langweilig ist. Denn es gibt ja Leute, die den Frühling oder den Winter oder den Herbst lieber haben als den Sommer.
Aber in dem Land, das am Ende des Dunklen Tales liegt, ist vieles anders als hier bei uns. Da kommen die Jahreszeiten nicht nacheinander, wie du und ich es gewohnt sind. Nein, in diesem Land liegen die Jahreszeiten nebeneinander. Auf der einen Seite der Sommerwiese liegen die Frühlingsgärten auf der anderen Seite befindet sich ein großer Partk, der heißt Herbstfeld. Und dahinter kannst du direkt in den Winterwald gehen.
Du verstehst also vielleicht, daß du in diesem Land selber wählen kannst, in welcher Jahreszeit du am liebsten sein möchtest. Du kannst direkt von der Sommerwiese in den Winterwald gehen oder in die Frühlingsgärten. Und wenn du Hunger hast, machst du einfach einen kleinen Spaziergang zum Herbstfeld und pflückst dir eine schöne Birne oder Apfelsine. Und das alles kannst du an einem einzigen Tag machen. Übrigens ist in diesem Land niemals Nacht, es ist dort immer Tag.
Das Dunkle Tal führt also direkt auf die Sommerwiese. Ich glaube, daß muß so sein, weil es so guttut, ins warme Sommerland zu kommen, wenn du durch die Schatten des Tales gegangen bist. Da fühlst du dich ganz schnell mollig warm. Es gibt übrigens viele Leute, die legen sich erst einmal eine Weile hin und schlafen, wenn sie auf der Sommerwiese angekommen sind. Sie lassen sich einfach ins Gras fallen, und selbst wenn sie direkt in der Sonne liegen, kriegen sie keinen Sonnenbrand. Es wird ihnen einfach warm, und sie träumen etwas Schönes
.Aber jetzt darf ich nicht vergessen, über den zu erzählen, der immer wartet. Er ist nämlich der Allerwichtigste.
Er steht immer am Ausgang des Dunklen Tales. Seine Augen schweifen suchend durch die Schatten. Denn er wartet auf alle, die durch das Tal kommen. Zusammen mit ihm stehen drei Engel da. Die Engel sollen ihm helfen und stehen bereit, um alles zu tun, was er ihnen sagt.
Der erste heißt der Engel des Lichts.
Wenn du schon einmal am Meer warst, dann hast du bestimmt schon einen Leuchtturm gesehen. Ohne Leuchtturm wissen die Schiffe nicht, wie sie fahren sollen, um sicher voranzukommen. Und der Engel des Lichts ist fast so etwas wie ein Leuchtturm.
Komm, ich hör jemanden, sagt Der Immer Wartet zum Engel des Lichts. Dann stellt sich der Engel des Lichts in den Ausgang des Dunklen Tals und läßt seine Fackel weit in die Finsternis hineinleuchten.
Die durchs Tal kommen, sehen das Licht. Und so wissen sie, wohin sie gehen sollen.
Psst, sagt der Immer Wartet, ich höre Schritte eines kleinen Kindes. Engel des Lichts, strahl heller! Leuchte wärmer und zeig dem Kind den Weg.
Und jedesmal, wenn ein ganz kleines Kind ankommt, geht der Engel des Lichts ganz in das Dunkle Tag hinein. Das Licht ist so stark, daß die Schatten verschwinden. Dann ist es taghell im Dunklen Tal.
Das kleine Kind sieht das Licht und läuft ihm entgegen.
Da lächelt der Immer Wartet.
Er streckt dem Kind die Arme entgegen. Aber das kann das Kind noch nicht sehen, weil das Licht so hell ist, und weil das Kind noch tief im Dunklen Tal ist.
Dann ruft Der Immer Wartet den zweiten Engel herbei. Das ist der Engel der Hoffnung. Vielleicht weißt du nicht, was das ist, eine Hoffnung. Ich will es dir gern erklären. Hoffnung ist etwas was dich fröhlich macht, damit du wieder Lust bekommst, im Dunklen Tal weiterzugehen.
Der Immer Wartet weiß, daß das kleine Kind von der langen Wanderung leicht müde wird. Deshalb bittet er den Engel der Hoffnung zu kommen und auf seiner Flöte zu spielen.
Der Engel der Hoffnung hat nämlich eine Flöte. Und wenn der Engel spielt, dann ist das so als ob alle Singvögel der Welt in der Flöte wohnen. Und wenn er spielt, dann flattern sie mit seiner schönen Melodie weit hinaus.
Sie fliegen ganz weit, bis hin zu dem Kind, das durchs Dunkle Tal wandert. Und dann fängt das Kind an, sich er erinnern. Es denkt an den Sommer und an die Vögel. Es denkt daran, wie es gespielt hat, wie es durchs Gras gesprungen und fröhlich gewesen ist.
Nun habe ich vorhin schon gesagt, daß du dich im Dunklen Tal nicht umdrehen und nicht rückwärts gehen kannst. Und weil du nicht rückwärts gehen kannst, kannst du auch nicht rückwärts denken.
Das hört sich sehr merkwürdig an, aber wenn du nicht rückwärts denken kannst, dann mußt du vorwärts denken. Und genau das tut das Kind. Wenn es die Flötenmusik hört und das Licht sieht, dann denkt es vorwärts und dann spürt es: Ich muß mich beeilen, damit ich dahin komme, wo die Musik herkommt. Denn da gibt es einen Ort, wo ich mich freuen kann. Da ist der Sommer und die Freude.
Und so beginnnt das Kind schnell zu laufen. Und die Füße, die so müde waren, kriegen wieder richtig neue Kraft.
Aber wenn das Kind noch sehr klein ist, dann kann es sein, daß es nicht so weit laufen kann. Selbst wenn der Engel des Lichts so hell wie möglich strahlt, selbst wenn der Engel der Hoffnung so laut und schön spielt, wie er nur kann - es kann doch passieren, daß das Kind müde wird und nicht mehr laufen will.
Vielleicht setzt es sich hin, um auszuruhen. Vielleicht schläft es auch ein.
Weiß du, was dann geschieht? Das will ich dir erzählen. Dann geht Der Immer Wartet selbst ins Dunkle Tag hinein. Er ist der einzige, der fähig ist, den Weg zurückzugehen und die abzuholen, die kommen. Ja, manchmal geschieht es auch, daß ganz kleine Kinder sterben, die noch gar nicht laufen gelernt haben. Dann muß Der Immer Wartet durch das ganze Tag laufen, um sie zu holen. Und dann trägt er sie behutsam durch das Dunkle Tal und legt sie vorsichtig ins Gras der Sommerwiese.
Und Weißt du, was er macht, während er durchs Dunkle Tal geht?
Er singt!
Wenn die Kinder schlafen, singt er Wiegenlieder, und wenn sie wach sind, singt er fröhliche Lieder. Die handeln von all dem, was es auf der Sommerwiese, in den Frühlingsgärten, im Winterwald und auf dem Herbstfeld gibt.
Das Kind sieht, wie er ihm entgegenkommt, aus derselben Richtung, aus der das Licht kommt. Und dann hat das Kind keine Angst mehr. Es weint auch nicht mehr. Denn das Kind weiß, das der, der aus dem Licht kommt, Gutes bringt.
Und in dem Augenblich, wo Der Immer Wartet sich bückt und das Kind hochhebt, da lächelt ihm das Kind an. Ich glaube fast, das Kind erkennt ihn wieder, obwohl es ihn niemals vorher gesehen hat. Das ist so, als ob sich das Kind nun doch ganz tief zurückerinnert, wie es früher in die Arme genommen worden ist. Es denkt daran, daß schon einmal jemand da war, vor langer, langer Zeit, der es lieb gehabt hat. Das Kind war schon einmal an einem Ort wo es singen und spielen konnte und ganz ruhig schlafen, wenn es müde war.
Ich glaube, du verstehst, wo das war. Das war zu Hause bei seinen Eltern, bei denen es gewohnt hat, bis es den Schritt zur Seite gemacht hat. Daheim bei dem Kind ist jetzt alles ganz traurig, da weinen sie, und keiner kann sie trösten. Und deswegen muß ich dir von dem erzählen, der Immer Wartet.
Er nimmt das Kind behutsam in die Arme und trägt es. Dabei schläft das Kind ein, da bin ich ganz sicher. Es schläft und träumt davon, wie es ins Licht getragen und in die warme Sonne gelegt wird, auf die Sommerwiese. Und wenn es aufwacht, dann ist das alles wirklich so. Denn genau das ist ja passiert.
Der Immer Wartet sitzt neben dem Kind. Du kannst ihn genausogut Der Niemals Schläft nennen, denn er schläft nie. Er ist immer wach. Und das macht er, weil er auf alle wartet, die kommen. Darum steht er ja da, wo das Dunkle Tag aufhört und die Sommerwiese anfängt. Aber wenn ein kleines Kind zum ersten Mal im Gras auf der Sommerwiese schläft, setzt er sich direkt neben das Kind und paßt auf, obwohl es auf der Wiese gar nichts Gefährliches gibt.
Wenn das Kind aufwacht, sieht er es an und lächelt. Er streichelt mit seinen Händen das Gesicht des Kindes, und seine Hände sind warm und leicht wie Flügel eines Schmetterlings.
Da sieht das Kind, das Der Immer Wartet weint. Große Tränen tropfen aus seinen Augen. Das Kind erinnert sich nicht mehr, warum man weint, denn auf der Sommerwiese gibt es keinen, der weint. Da gibt es nur Spiel und Gesang und Freude. Aber jetzt weint auch das Kind zusammen mit dem, der Immer wartet. Es weint und weiß selber nicht, warum.
Du und ich, wir wissen, warum das Kind weint. Es weint, weil es nicht mehr da ist, wo es früher immer war. Daheim bei Mama und Papa. Aber das weiß das Kind ja nicht mehr. Nur wir weinen, wenn ein anderer einen Schriftt zur Seite gemacht hat und gestorben ist. Wer durch das Dunkle Tal gegangen ist, hat alles Weinen und allle Schatten hinter sich gelassen. Aber Der Immer Wartet weiß noch, wie es früher war. Er kennt uns, auch wenn wir noch am anderen Ende des Dunklen Tales wohnen. Darum weint er zusammen mit uns. Und er trocknet die Tränen des Kindes und macht, daß das Kind wieder lächelt.
Jetzt ist es soweit, daß der dritte Engel kommt. Der Immer Wartet ruft diesen Engel niemals herbei. Das braucht er nicht, weil der Engel immer von selbst kommt, wenn Der Immer Wartet weint. Dann kommt der Engel und schmiegt sich ganz eng an den, der Immer Wartet, so nach, daß die Tränen auf den Engel niedertropfen, ja so nah, daß der Engel ganz bestimmt hören kann, wie dem, der Immer Wartet, das Herz schlägt.
Dieser Engel heißt Engel des Trostes. Der Immer Wartet redet niemals mit dem Engel des Trostes. Aber sobald der Engel des Trostes ganz nah bei ihm war und seine Tränen und seinen Herzschlag gespürt hat, geht der Engel des Trostes wieder weiter. Er geht so sanft und so leise, daß du ihn fast nicht hören kannst. Aber wenn er bei dir war, hörst du nach einer Weile auf zu weinen. Und vielleicht hörst du dann eines Tages, daß der Engel der Hoffnung für dich spielt. Und eines Nachts siehst du, daß der Engel des Lichts auch in dein Dunkles Tag scheint.
Nachdem der Engel des Trostes gegangen ist - und ich glaube, du weißt jetzt, wo er hingeht - sitzt Der Immer Wartet noch lange bei dem Kind.
Und ich glaube, das Kind krabbelt in seinen Schoß. Und vielleicht schläft es wieder ein bißchen und träumt noch ein wenig, bevor es ganz aufwacht. Der Immer Wartet sieht das Kind an. Du bist Ralph sagt er, wenn das Kind so heißt. Da erinnert sich das Kind an seinen Namen. Es richtet sich auf und nimmt den, der immer wartet, bei der Hand.
Und du bist Jesus, sagt Ralph laut. Und dann läßt er seine Hand los und springt barfuß hiaus auf die Sommerwiese.
Mir gab die Geschichte schon oft trost, in der schweren Zeit.
Vermisse Dich so sehr. In ewiger Liebe Deine Mam
Zurueck zur Gedenkstaette
Erstellt am 13.08.2008,
Erstellt von Andrea Margraf
Erstellt von Andrea Margraf
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