Wer war Johannes D. Stümpel?
Auf jeden Fall war er mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattet worden. Und im Gegensatz zu vielen anderen Menschen konnte er genauso laut und intensiv über sich selber lachen, wie über andere Menschen.
So sah er etwa 1939 aus (der zweite von links):
Außerdem verfügte er über echten Charme. Und er war ein Original. Er war eben er selber. Mit allen Stärken und Schwächen.
Als Kind verehrte ich meinen Vater uneingeschränkt. Er war mein Held. Aber so sehen wohl viele Kinder ihren Vater.
Was hat er mir vermacht? An materiellen Werten nichts. Auf die kam es ihm eigentlich auch nicht wirklich an. Er wußte, dass die einfachen Sachen meistens die besten sind. Obwohl er mich nicht wirklich in Musik unterrichtete, kam die Musik durch ihn zu mir. Er spielte mir Schumann, Händel, Bach, Telemann, Corelli und viele andere auf seinem Tonband vor. Von meiner Mutter war ich nur Schlager und Hitparade gewöhnt. Als ich zu ihm ziehen mußte (weil ich ein böses Kind war), lernte ich die oben angeführten Komponisten zu lieben.
Wenn mein Vater mir als Kind was ge- oder verbot, erklärte er immer, warum er dies tat. Verbote gab es sowieso fast keine, da er lieber an meine Vernunft appellierte. Zudem unterstützte er immer meine noch so verwegenen Vorhaben.
Er hoffte, dass ich mal meinen Weg finden würde jenseits von ausgetrampelten Pfaden. Was ich bisher aber leider nicht hinbekommen habe.
Er sagte, dass er in seiner eigenen Kindheit stark gelitten hätte. Am meisten wohl unter seinem eigenen Vater. Genaues weiß ich darüber eigentlich nicht. Ich denke aber, dass er deshalb ein düsteres Geheimnis mit sich rumschleppte, dass er wohl mit ins Grab nahm.
In meiner Jugend habe ich die besten Gespräche mit ihm geführt. Obwohl meine Ansichten bestimmt nicht viel mit der Realität zu tun hatten, hörte er immer aufmerksam zu.
Er bemühte sich, mich zu einem toleranten, freien, ehrlichen und denkenden Menschen zu erziehen. Dabei waren ihm Zwang, Leistungsdruck und Lehrer eigentlich aus eigener Erfahrung zutiefst verhaßt. Er verachtete Autorität und vermied diese eigentlich sehr erfolgreich. Dieser Umstand hatte für uns Kinder natürlich auch Nachteile. Da der Rest der Welt leider auf Autorität, Zwang und Hierachie aufgebaut ist. Die meisten Lehrer verachteten uns.
Was hinterließ er mir noch? Fernweh. Spaß am Reisen. Durch ihn lernte ich unbefangen und ohne Angst fremde Länder zu erkunden, und mich in fremden Kulturen zu bewegen. Er selber ist als junger Mann zur See gefahren.
So sah er damals aus:
Im linken Bild sieht er aus wie mein Bruder als dieser im gleichen Alter war. Er fuhr in den 60er Jahren für die Reederei Fritzen und später für die Reederei Schepers. Die Fotos zeigen ihn auf dem Tripp nach Panama. Er war Bordfunker.
Hier eines der Schiffe (T/S Gertrud Fritzen und rechts T/S Ilse Fritzen):
Selbst als er später Beamter bei der Bundespost war, fuhr er ab und zu nochmal zu See.
Als ich 14 Jahre alt war, fuhren wir als Passagiere auf einem Frachter nach Großbritannien. Dies durften wir Dank seiner Beziehungen zu der Reederei Schepers in Aschendorf. Wie war England doch so ätzend. Das Hotel war irrsinnig teuer und trotzdem eine Bruchbude, und das Essen war bis auf das Frühstück einfach nur grauenhaft. Wir waren beide froh, als wir wieder in Holland angekommen waren. Da sind wir erst einmal anständig essen gegangen.
Ja, Reisen habe ich mit meinem Vater viele gemacht. Sein Lieblingsland war in den siebziger Jahren Yugoslavien. Da war ich häufig mit ihm. Die letzte Reise habe ich mit ihm als 18jähriger unternommen. Da sind wir zu zweit nach Griechenland gefahren. Und zwar auf die Halbinsel Chalkidiki.
Eine seiner berüchtigsten Macken war das fast zwanghafte Auswuchten der Räder seiner Fahrzeuge. Wenn man Pech hatte, lernte man auf einer Strecke von 400 km Autobahn fast alle Parkplätze und Raststätten kennen. Auf einer Strecke von Oberursel nach Rijeka (Kroatien) übernachtete mein Vater auch mindestens zweimal. Zu meinem Leidwesen war die erste Übernachtung bereits in Ulm! Trotzdem hatten wir auf den Reisen immer viel Spaß.
Tja, eigentlich wollte mein Vater keine Kinder. Aber wie das Anfang der Sechziger so war, fünf Minuten Vergnügen konnten einen dann ganz schön lange büßen lassen. So erging es auch meinen Eltern. Erst mußten sie heiraten und dann kam auch schon mein Bruder:
Da mein Vater nicht mehr zu See fahren wollte, guckte er sich nach Alternativen um. Die Bundespost bot ihm eine an. Dazu mußte er allerdings seine Heimat verlassen und nach Hessen ziehen. Dort kam ich auf die Welt. Am Anfang mußte er noch auf Kolonne gehen. So arbeitete er z. B. in Baal und Jülich, obwohl wir zu dieser Zeit in Selters/Eisenbach wohnten. (unten im Feld in Eisenbach mit meinem Bruder)
Danach bekam er eine Stelle als Fernmeldeinspekteur in Eschborn, und wir zogen dann ins Postler-Ghetto in Kronberg/Schönberg.
Mein Vater haßte Spießer und wollte nie einer sein. Deswegen fühlte er sich im Postler-Ghetto wahrscheinlich besonders unwohl. Aber Gott-sei-Dank kamen da die 68er bis 72er Jahre mit der APO, sexuellen Befreiung, Kommunenleben, freie Liebe et cetera. Dies löste nicht nur unsere Familie auf. Heerscharen von Eltern ließen sich scheiden oder trennten sich ganz einfach. Reihenweise Bettpisser waren die Folge.
Nach einem kurzen Kommunenleben zog er dann in eine 1 1/2 Zimmerwohung nach Oberursel.
Erstellt von Stefan Stuempel